Faktencheck Nr. 1:
Die GOT wurde seit 1999 nicht mehr angepasst: Falsch!
Die GOT besteht neben dem Verordnungstext aus einem Verzeichnis der tierärztlichen Leistungen und den zugehörigen Gebührensätzen.
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Richtig ist, dass
das Verzeichnis der tierärztlichen Leistungen seit 1999 nicht angepasst wurde und deshalb nicht mehr dem heutigen Stand der Tiermedizin entsprach.
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Falsch ist, dass
die Gebührensätze seit 1999 nicht angepasst wurden. Tatsächlich erfolgte 2008 und 2017 eine Anhebung der Gebührensätze um jeweils 12%. Weiterhin wurde das Wegegeld erhöht und 2020 wurde eine Notdienstgebühr in Verbindung mit der verpflichtenden Abrechnung des zweifachen bis vierfachen Gebührensatzes eingeführt.
Politische Forderungen
Um diese schleichenden Gebührenerhöhungen in der Zukunft zu verhindern, verlangen wir, dass der einfache Gebührensatz der GOT 2022 als Regelsatz festgelegt wird. Der Textteil der GOT muss dahingehend konkretisiert werden, dass die Steigerung von Gebührensätzen keinesfalls pauschal, sondern nur im jeweils begründeten Einzelfall aufgrund eines abschließend definierten Kriterienkatalogs zur Anwendung kommen darf. Rechnungen müssen neben dem Ausweis der Leistungsziffer auch den Steigerungsfaktor und eine für den Tierhalter nachvollziehbare Begründung für die Steigerung enthalten.
Pauschal gesteigerte Gebührensätze dürfen nur im Rahmen von Individualvereinbarungen, die vom Tierhalter im Vorwege für den einzelnen Behandlungsfall unterschrieben werden müssen, zur Anwendung kommen.
Faktencheck Nr. 2:
Die Tierarztkosten steigen durch die GOT 2022 um etwa 20%: Falsch!
In zahlreichen Interviews, die teilweise auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wurden, wurde der Eindruck vermittelt, dass die Tierarztkosten mit der GOT 2022 um etwa 20 % teurer werden. In diesen Interviews kamen nicht nur einzelne Tierärzte, sondern auch Funktionsträger tierärztlicher Verbände zu Wort.
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Richtig ist, dass
eine Studie von AFC Public Services im Auftrag des BMEL zu dem Ergebnis kam, dass die Praxiskosten für den Zeitraum von 1999 – 2020 bundesweit um ca. 43% gestiegen sind. Unter Berücksichtigung der vorgenommenen Anpassungen der GOT um 24% verblieb deshalb ein zusätzlicher Anpassungsbedarf von weiteren 19%, um einen vollständigen Inflationsausgleich zu erreichen.
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Falsch ist, dass
sich die Gebührenerhöhungen durch die GOT 2022 auf diesen Inflationsausgleich beschränken. Häufig abgerechnete und besonders anpassungsbedürftige Gebührensätze wurden neu berechnet. Hierfür wurden gefühlte Zeitschätzungen der Tierärzte verwendet. Dadurch wurden die Gebühren für viele Leistungen wie z.B. die Allgemeinen Untersuchungen, Folgeuntersuchungen, Injektionen etc. um 60%, zum Teil auch deutlich darüber angehoben. Einige Gebührensätze wurden herabgesetzt, wie zum Beispiel für das Röntgen.
Politische Forderungen
Wir verlangen, dass anhand einer repräsentativen Anzahl von typischen Behandlungsfällen die tatsächlichen Kostensteigerungen für den Tierhalter bestimmt werden. Die Abrechnungen müssen alternativ für die GOT 2020 und die GOT 2022 für den Regelbetrieb und für die GOT 2017 und die GOT 2022 im Notdienst durchgeführt werden. Weiterhin muss ermittelt werden, inwieweit das tatsächliche Ausmaß der Gebührenerhöhungen den Interessenvertretungen der Tierärzteschaft bereits zum Zeitpunkt der Novellierung der GOT 2022 bekannt war, aber der Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgern vorsätzlich vorenthalten wurde.
Faktencheck Nr. 3:
Die neuen Gebühren wurden wissenschaftlich ermittelt. Falsch!
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Richtig ist, dass
AFC Public Services beauftragt wurde, für alle in der GOT gelisteten Leistungen eine angemessene Gebührenhöhe zu ermitteln. Bestandteil dieser Untersuchung war eine deutschlandweit angelegte Befragung von praktischen Tierärztinnen und Tierärzten zur Erhebung der Kostenstrukturen und der Behandlungszeiten für die einzelnen Leistungen. Die Teilnehmenden konnten hierbei die häufigsten Leistungen und die Leistungen mit dem größten Anpassungsbedarf nennen und zeitlich bewerten.
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Falsch ist, dass
die Berechnung der neuen Gebührensätze auf neutraler, wissenschaftlicher Basis erfolgte. Die Schätzung der Behandlungszeiten erfolgte durch die Tierärzte selbst. Dabei handelte es sich um gefühlte Zeitangaben, keinesfalls um tatsächlich gemessene Behandlungszeiten oder buchhalterische Werte. Es ist fraglich, ob den Tierärzten bei der Abgabe ihrer Zeitschätzungen neue Leistungselemente der GOT wie gesplittete Leistungen oder neue „Leistungen“ wie die Hausbesuchsgebühr überhaupt bekannt waren.
Wir verlangen, dass das methodische Vorgehen für die Neuberechnung der Gebührensätze einer unabhängigen Überprüfung unterzogen wird. Festgestellte methodische Mängel müssen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Angemessenheit der Gebührensätze bewertet werden.
Faktencheck Nr. 4:
Die Interessen der Tierhalter wurden durch Experteninterviews berücksichtigt. Falsch!
In §12 der Bundestierärzteordnung ist geregelt, dass die Bundesregierung bei der Verordnung der Gebührenordnung für Tierärzte sowohl die Interessen der Tierärzte als auch die Interessen der zur Entgeltzahlung Verpflichteten zu berücksichtigen hat.
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Richtig ist, dass
im Rahmen der Studie von AFC Public Services 25 sog. Experten- oder Stakeholderinterviews geführt wurden. Von den 25 Experten sind 12 direkt der Tierärzteschaft zuzurechnen. Lediglich 7 Experten vertraten sog. „Tierhalterorganisationen“, deren Fokus teilweise nicht auf einer Interessenvertretung von Tierhaltern liegt. Der Interviewleitfaden für die Experteninterviews umfasste nur wenige Fragen zu allgemeinen Aspekten. In keiner Weise wurde auf die Höhe der neu berechneten Gebührensätze eingegangen.
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Falsch ist, dass
es eine gleichberechtigte Interessenberücksichtigung der Tierhalterinteressen gegenüber den Interessen der Tierärzte gegeben hat. So hat sich die Tierärzteschaft offensichtlich mit ihren Forderungen z.B. zur Neubewertung der Apparatemedizin und zur Einpreisung des Risikos in die Gebührensätze problemlos durchsetzen können. Demgegenüber fand an keiner Stelle eine adäquate Formulierung der Tierhalterinteressen statt. Selbst allgemeine Interessenslagen wie eine Orientierung der Gebührensteigerungen an der allgemeinen Einkommensentwicklung wurden an keiner Stelle erfasst. Ob und ggf. in welchem Umfang der Input aus den Experteninterviews überhaupt Berücksichtigung fand, ist in keiner Weise nachvollziehbar.
Ein Ausflug in die Humanmedizin zeigt:
Politische Forderungen
Wir verlangen deshalb, dass die Vorgehensweise bei der Entwicklung der GOT 2022 durch eine unabhängige Expertenkommission untersucht wird. Gegenstand der Untersuchung muss sein, festzustellen, ob die Art und der Umfang der Wahrung der Interessen der Tierhalter den Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage entsprechen.
Faktencheck Nr. 5:
Die Notdienstgebühr stellt die Notdienstversorgung sicher. Falsch!
Mit der GOT 2020 wurde verpflichtend eine Notdienstgebühr von 50 € und die Abrechnung zum 2- bis 4-fachen Gebührensatz eingeführt. Hiermit soll das Kliniksterben, dass derzeit durch die Rückgabe des Klinikstatus durch viele Tierkliniken stattfindet, gestoppt und die Notdienstversorgung flächendeckend sichergestellt werden.
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Richtig ist, dass
eine Versorgung kranker Tiere im Notdienst zu den ethisch moralischen Pflichten praktizierender Tierärzte gehört. Dies hat die Landesregierung in NRW „unmissverständlich“ gegenüber den Tierärztekammern deutlich gemacht. Sollte es den Kammern nicht gelingen diese durchzusetzen, werde man den Notdienst für alle praktizierenden Tierärzte / Tierärztinnen verpflichtend vorschreiben. Richtig ist auch, dass die Tierkliniken in der Vergangenheit einen wesentlichen Beitrag zur Notdienstversorgung geleistet haben, da sie nach Kammerrecht zu einem Versorgungsangebot 24/7 verpflichtet sind. Je weniger Tierkliniken den Notdienst sicherstellen können, je mehr Tierarztpraxen müssen sich am Notdienst beteiligen.
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Falsch ist, dass
das Kliniksterben durch die Einführung der Notdienstgebühr verhindert werden konnte. Die Zahl der Tierkliniken in Deutschland ist seit vielen Jahren rückläufig. So existierten im Jahr 2010 über 300 Tierkliniken in Deutschland, 2020 existierten noch 181.
Laut Statistik der Bundestierärztekammer ging nach Einführung der Notdienstgebühr die Zahl der Kliniken 2021 auf 157 zurück und war 2022 nochmals rückläufig auf aktuell nur noch 146 Kliniken. Schlagzeilen machte z.B. auch die Kleintierklinik der Universität Leipzig, die vom 1. Februar bis zum 31. Juli 2023 ihren Notdienst einstellen musste.
Politische Forderungen
Wir erwarten, dass der Verordnungsgeber im Rahmen der geplanten Evaluierung der GOT 2020 feststellt, dass die Notdienstgebühr und die verpflichtende Abrechnung mit mind. dem zweifachen Gebührensatz kein angemessenes Instrument zur Erreichung der Versorgungssicherheit darstellt und im Zusammenwirken mit den Gebührenerhöhungen der GOT 2022 zu völlig unangemessenen, das Tierwohl gefährdenden Gebühren im Tierärztlichen Notdienst führt. Wir verlangen, dass hier entsprechende Korrekturen vorgenommen werden.
Faktencheck Nr. 6:
Eine Tierkrankenversicherung löst alle Probleme. Falsch!
Seit der Ankündigung der Novellierung der GOT und den damit einhergehenden Gebührensteigerungen herrschte unter den Versicherungsgesellschaften, die Tier OP Kostenversicherungen und Tier-Krankenversicherungen anbieten, geradezu Goldgräberstimmung. Mit der Werbung dieser Versicherungsgesellschaften wurde die ohnehin vorhandene Verunsicherung der Tierhalter noch beflügelt und für die Versicherungen nennenswertes Neugeschäft generiert.
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Richtig ist, dass
das Tierschutzgesetz jeden Tierhalter zur Gesundheitsvorsorge und -fürsorge verpflichtet. Hieraus ergibt sich auch, dass Vorsorge für Tierarztkosten getroffen werden muss. Diese Vorsorge kann durch private Rücklagen oder durch den Abschluss einer Versicherung getroffen werden. Der Tierhalter hat in der Regel die Wahl zwischen einer teureren Tierkrankenversicherung und einer günstigeren Tier-OP-Kostenversicherung.
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Falsch ist, dass
mit dem Abschluss einer Versicherung alle Probleme gelöst werden können. Tierkrankenversicherungen mit weitgehendem Versicherungsschutz sind für die meisten Tierhalter kaum bezahlbar. Die deutlich günstigeren Tier-OP-Kostenversicherungen bieten Schutz nur für Kosten im Zusammenhang mit einer Operation. Klinikaufenthalte, die nicht mit einer OP einhergehen, die aber dennoch schnell mit mehreren tausend Euro abgerechnet werden, sind dagegen nicht versichert.